Das Interesse an politischen Demonstrationen und Kundgebungen scheint zu schwinden. Dennoch waren wieder Tausende Menschen für ihre individuellen politischen Ansichten auf der Straße unterwegs. Parteien, Gewerkschaften und Bündnisse nutzten den Tag.
In der Landeshauptstadt Schwerin besuchten rund 800 Menschen den Marktplatz in Schwerin. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) forderte gegenüber den Zuhörern eine Grundrente. Sie behauptete, dass Mecklenburg-Vorpommern eine gute wirtschaftliche Entwicklung hätte und prognostizierte eine gute Zukunft. Auch auf die kommende EU-Parlamentswahl wurde Bezug genommen. „Das geeinte Europa war und ist ein Friedensprojekt“, betonte der DGB-Nord-Vize Ingo Schlüter. Empfangen wurde der von Manuela Schwesig (SPD) und OB Rico Badenschier (SPD) angeführte Menschenzug zuvor von der AfD. Mit einem großen Stand und hippem Lastenrad machten Kommunalkandidaten wie Dr. Peter Bossow, Bert Obereiner, Steffen Beckmann, Alina Spiegel und Dirk Lerche Werbung für die anstehenden Wahlen Ende Mai.
In Neubrandenburg fand wieder das Demokratiefest der Gewerkschaften statt. Im Jahr zuvor hatte die AfD eine ähnliche Veranstaltung auf dem Hauptplatz ausgetragen, da sie traditionell nicht präsent sein darf. Um die Dreitausend Teilnehmer und Schaulustige aßen den Tag über Bratwurst und lauschten den politischen Reden. Die AfD durfte auch dieses Jahr wieder nicht mit einem Stand vertreten sein, war aber etwas außerhalb zu finden. Hunderte Neubrandenburger orientierten sich lieber dorthin. Der Stand wurde von einigen scheinbar betrunkenen Jugendlichen provoziert, die ein Banner mit der Aufschrift: „FCK NZS“ hochhielten. „FCK NZS“ ist ein „Code“ und bedeutet aus dem Englischen, von „Fuck Nazis“, übersetzt: „Nazis ficken“. Es bedeutet aber nicht, wie viele ältere Menschen annehmen, dass sie mit Nationalsozialisten Geschlechtsverkehr haben wollen. Es soll bedeuten, dass man konservativ, wirtschaftsliberal, traditionell-christlich oder national denkende Personen sozial ächten, verbal ausgrenzen oder sogar physisch angreifen soll.
Für deutlichere Polarisierung sorgte der Umzug der Nationaldemokraten in Wismar. Etwa 200 Teilnehmer zogen mit schwarz-weiß-roten Flaggen durch die Stadt. Mit Bannern im Gepäck, die „Arbeit“, „Zukunft“ und „Heimat“ titelten, heizte u. a. der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Udo Pastörs die Menge ein. Etwa 250 Gegenprotestler, die mit einigen Satiregruppen auftraten, wie zum Beispiel „Storch Heinar“ oder „Wikinger_Innen gegen den Missbrauch von Runen“, zeigten ihren Unmut darüber. Auf dem Marktplatz versammelten sich anschließend der gesamte Gegenprotest. Das Bündnis „Wismar für alle“, Sozialdemokraten, linke Bewegungen und einige Linksextremisten, mit bunten Flaggen der Homosexuellenbewegung, zeigten ihre Gegenposition zu den Äußerungen der NPD. Etwa 350 Personen konnte man auf Bildern der Ostseezeitung zählen.
In der Hansestadt Rostock versammelten sich etwa 1.500 Teilnehmer. Sie marschierten vom Doberaner Platz zum Kastanienplatz. Zum Abschluss gab es eine Diskussionrunde zur Oberbürgermeisterwahl. Die Jungsozialisten (Jusos) aus Rostock stellten sich symbolisch hinter die Belegschaft von „Möbel Wikinger“. Das Besondere daran ist, dass dies das Unternehmen des parteilosen Oberbürgermeisterkandidaten Claus Madsen ist. Inwiefern es Probleme in der Belegschaft mit sogenanntem „Lohndumping“ gibt, ist nicht bekannt.
Beim Greifswalder Familienfest fanden sich ca. 3.000 Menschen zusammen und lauschten dem Bühnenprogramm. Bei den Jungsozialisten aus Greifswald ging es scheinbar mehr um die AfD als um Klassenkampf. Am Stand konnte man beim „Dosenwerfen“ teilnehmen. Auf den Bildern der Dosen war das Logo der AfD zu sehen. Davor reinmontiert, war ein Gartenzwerg zu erkennen, der wie der ehemalige Diktator Adolf Hitler aussah. Auf den Dosen war der Schriftzug „Gemeinsam mehr“ und „Nazis stoppen“ erkennbar. Symbolisch konnte man die Dosen umwerfen. Die Jungsozialisten vergleichen so das Ein-Mann-Führer-Regime des Dritten Reichs mit der heutigen AfD, die sich für direkte Demokratie durch Volksentscheide einsetzt. Viele Bürger schüttelten darüber den Kopf.
In einigen weiteren Städten wie Torgelow oder Bad Doberan fanden ebenfalls Demonstrationen und Kundgebungen statt.
Der Organisator, der Gewerkschaftsbund, spricht nach eigener Schätzung von etwa 12.500 Teilnehmern in ganz Mecklenburg-Vorpommern. Die Polizei meldete keine besonderen Vorkommnisse.
Insgesamt scheint das Interesse für einen politischen Maifeiertag aber seit Jahren zu schwinden. Sowohl die Teilnehmerzahlen scheinen einen Rückgang zu erleben, als auch die skandalumwitterte Berichterstattung über Krawalle aus großen Zentren wie Berlin oder Hamburg.
Blickt man auf das Jahr 1999, also 20 Jahre, zurück, so konnten die gewerkschaftlichen Arbeiterbewegungen weit mehr Leute mobilisieren. Vor 19 Jahren berichtete beispielsweise der DGB-Nord in einer Pressemitteilung vom 01.05.2000: „Mit Abstand die größte Mai-Veranstaltung dürfte in Schwerin stattfinden: Die speziell für junge Menschen konzipierte „JOB PARADE“ hatte im vergangenen Jahr 30.000 Menschen mobilisiert. Mit Rave und Techno beweisen junge Gewerkschafter, dass der 1. Mai nicht tot ist, sondern durchaus in die Zeit passt. In diesem Jahr will die DGB-Jugend die Teilnehmerzahl noch einmal topen (sic!).“