15 Gründe warum die AfD in den neuen Bundesländern besser abschneidet

Schaut man sich die Wahlergebnisse der EU-Parlaments- und Kommunalwahlen an, dann kann man schnell einen signifikanten Abstand feststellen. Die Ergebnisse sind häufig in den Gebieten der ehemaligen DDR deutlich höher, als in den Gebieten der ehemaligen Bonner Republik. Besonders stark sind die Ergebnisse in Sachsen. Aber auch innerhalb des ehemaligen DDR-Gebietes bspw. in Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein relativ starkes Gefälle von West nach Ost.

Die Kurzfassung befindet sich unten.

Als Ursache werden häufig simplifizierte Gründe benannt. So wird aus den Reihen der AfD immer wieder behauptet, dass „ein starker Kurs“ oder etwaige schwammige Synonyme dafür verantwortlich wären. Oder aber andere monokausale Begründungen werden anhand von der Existenz an Personen in Position benannt. So wird häufig in sozialen Netzwerken betont, dass Björn Höcke oder andere Vorsitzende sozusagen alleine dafür verantwortlich wären.

Was sagt die Wissenschaft über die Gründe?

Hört man Politikwissenschaftlern zu, gibt es eine Reihe von Erklärungen die benannt werden. Am 28.05.2019 befragte der NDR den Leipziger Soziologen Prof. Dr. Holger Lengfeld, der AfD-Wähler und ihre Motive erforschte.

Als „ostspezifische Gründe“ benannte er zum Beispiel die Tatsache, dass die Verstädterung im Westteil der Republik viel größer wäre und besonders in der Fläche, in den ländlichen Gebieten die AfD gewählt werden würde. Die Landbevölkerung sei traditionalistischer. Davon hätte sich die Union abgesondert. Durch Merkels „Regentschaft“ und die liberalen Vorstöße beispielsweise bei der Energiewende, Wehrpflicht oder Homosexuellen-Ehe wären mehr Leute zur AfD gekommen.

Nicht sicher kann es Lengfeld sagen, aber er vermutet darüber hinaus noch die stärkere Ausprägung des demografischen Wandels als einen Mitgrund. Infrastruktur und Daseinsvorsorge wie Schulen, Ärzte, Dorfläden und Bahnhöfe würden mit dem Verschwinden und der Vergreisung der Menschen einhergehen. Dies führe laut Lengfeld zu einer Frustration.

Ferner führte er aus, dass Menschen, die in der DDR sozialisiert wurden eine höhere Erwartungshaltung gegenüber dem Staat in seiner Fürsorgefunktion an den Tag legen.

Ebenfalls mit der DDR-Sozialisierung kam eine „Skepsis gegenüber den politischen Eliten“. Dabei sei keine generelle Kritik am System, aber ein Misstrauen an den Herrschenden vorhanden, das noch aus den Zeiten der Staatsicherheit und SED käme.

Eine individuelle wirtschaftliche Lage allerdings sieht Lengfeld nur im Braunkohlerevier für ausschlaggebend. Die wirtschaftliche Situation spielt tendenziell kaum eine Rolle für AfD-Wähler.

Große Städte werden eher schwierige Orte für eine Verankerung, ansonsten wird die AfD auch im Westen Fuß fassen.

Ein anderer Politikwissenschaftler Dr. Hendrik Träger von der Universität Leipzig sieht noch andere Gründe. Gegenüber TAG24 sagte er: „Die Grenznähe zu Polen könnte hier eine Rolle spielen.“

Für Sachsen betonte er, dass andere Parteien, wie bspw. die Linke oder SPD, organisatorisch besonders schwach durch ihre wenigen Mitglieder wären. Einst hätte die CDU diese Schwäche genutzt, jetzt wäre es die AfD.

Zudem verdeutlichte er, dass eine etwaige Beobachtung durch den Verfassungsschutz für viele in Sachsen kein Problem wäre.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hans Vorländer kommt auf ähnliche Schlussfolgerungen. Er macht vor allem die geringere Bindung an die alten Parteien dafür verantwortlich. „Dieses gefestigte Parteiensystem, das in Westdeutschland seit sieben Jahrzehnten besteht, gibt es in Ostdeutschland ja überhaupt nicht“, sagte Vorländer gegenüber dem Merkur. Grenzkriminalität, Demografie und das Versagen der anderen Parteien sieht er ebenfalls als Gründe.

Stimmen aus Mecklenburg-Vorpommern hörte man bisher wenig. Der Rostocker Politologe Prof. Dr. Wolfgang Muno sagte gegenüber der SVZ: „Ein gespaltenes politisches System. […] Die Grünen scheinen zur westdeutschen, die AfD zur ostdeutschen Volkspartei zu werden.“ Die AfD hätte trotz niedriger Kandidatenzahl und „kaum Inhalten“ ein „sehr gutes Wahlergebnis“ erreicht. Auf Dauer werde laut Muno der Protest aber nicht reichen. Eine Begründung lieferte er oder zumindest die SVZ dafür nicht.

Welche weiteren Gründe könnte es geben?

Denkt man weiter, dann spielen natürlich auch die mitgliederabhängige Eingebundenheit in die Partei und die Inhalte der AfD eine natürlich klassische Rolle für das Wahlverhalten. Prozentual sind mehr Menschen in den neuen Bundesländern Mitglieder der AfD als im Westen. Vier der fünf rekrutierungsfähigsten Bundesländer sind ehemalige DDR-Gebiete.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Aber auch der historische Nährboden vor der AfD oder sogar vor der DDR könnten eine tragende Rolle spielen. So fuhren auch schon vor der AfD andere Parteien wie die NPD oder DVU in die Landtage ein, die ähnliche Kritik an der Europäischen Union, der EURO-Währung, offenen Grenzen oder der Migration übten.

Geht man historisch noch weiter zurück, dann kann man ein regelrechtes Gefälle von Südwest nach Nordost im alten Deutschen Reich sehen. So wählten im März 1933 bei den achten Reichstagswahlen in den Wahlkreisen Pommern, Frankfurt/Oder oder Ostpreußen weit über 55% die NSDAP. Sozialdemokratie und KPD hatten ihre Hochburgen in den Städten. Die Zentrumspartei war besonders in Niederbayern, Koblenz-Trier und katholischen Regionen stark. Zwar sind diese Parteien in keiner Weise mit den heutigen Parteien vergleichbar. Dennoch kann man ablesen, dass ein historischer Nährboden für vaterländische Gesinnung sehr stark war und im Nationalsozialismus endete. Die kulturelle und ethnische Frage scheint dort daher besonders ausgeprägt gewesen zu sein. In durchaus konträrer, aber dennoch in autoritärer Manier führte auch die SED über Jahrzehnte seine Staatsbürger mit relativ völkischem Charakter. Völkisch im Sinne einer ethnisch-kulturell reinen Gesellschaft, die bis auf ein paar wenige Gastarbeiter und Studenten aus sozialistischen Brüderstaaten, relativ deutsch in seiner Kultur und ethnischen Zusammensetzung blieb. Im Westen war es hingegen Mitte der 80er Jahre schon üblich, dass englischsprachige Musik gehört wurde oder Ausländer in die Familie einheirateten. Darüber hinaus spielte in der DDR aufgrund der atheistischen Staatsideologie auch die Kirche keine Rolle mehr. Die Kirche kann durchaus als Garant für eine starke Struktur des Konservativismus gesehen werden, aber spiegelt auch zentrale Strukturen einer barmherzigen und humanistischen Gesellschaft wider, die Menschen in Armut oder Not hilft. Letztendlich wird eine Einstellung auch maßgeblich über das Elternhaus weiter getragen. Diesen Absatz hier sollte man wertfrei zur Kenntnis nehmen.

So kam es auch, dass der Ausländeranteil und der Anteil an deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund in den alten Bundesländern deutlich höher ist. Zwar gibt es sehr viele Ausländer, die sich in der AfD engagieren, aber es dürfte beispielsweise für Muslime nicht vereinbar sein, die AfD zu wählen, da jene den Islam häufig negativ thematisiert. Aber auch viele andere Gruppen an Zuwanderern und Personen mit Migrationshintergrund haben aus ethnisch-kulturellen Gründen oder aufenthaltsrechtlichen Problemen ihrer Verwandten wenig Interesse die AfD zu wählen. Traditionsverwurzelte und prekäre Migrantenmilieus machen beinahe 50% der Personen mit Migrationshintergrund aus, geht man nach einer großangelegten, überinstitutionellen Studie, bei dem das Sinus-Institut federführend war, im Jahr 2008 aus. Allein schon aus diesen statistischen Gründen ist das Wählerpotenzial im Westen oder Süden der Republik deutlich geringer. Letztendlich ist somit auch das Mitgliederpotenzial geringer, aufgrund des eigenen Migrationshintergrundes oder aber auch aufgrund des sozialen Drucks bspw. durch Migranten in der Nachbarschaft oder auf Arbeit.

Quelle: Michael Sander – selbst erstellt (Daten des Zensus 2011, Kartengrundlage: hier), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26967932

Als hier letzten Grund darf man auch den vorpolitischen Raum, also bspw. die Bürgerbewegungen, Kulturszene, Studentenverbindungen und Aktivisten in den neuen Bundesländern nicht unerwähnt lassen. Parteinähe ist vorhanden und viele Mitglieder dieser Bündnisse leisten enorme Arbeit im vorpolitischen Raum. So hat die Identitäre Bewegung beispielsweise seine zentrale Anlaufstelle in Rostock. Das Bürgerbündnis PEGIDA demonstriert jeden Montag in Dresden. Und fast alle Burschenschaften in den neuen Bundesländern sind Mitglied des AfD-nahen Dachverbands „Deutsche Burschenschaft“. Aber auch eine Kulturszene in Dresden oder Projekte wie das Flamberg-Haus in Halle zeigen, dass rechtskonservative Strukturen offen gelebt werden. Im Westen der Republik ist dies tendenziell weniger vorhanden.

Zusammenfassung

Sieht man genauer hin was „Ost“ und „West“ unterscheidet, dann kann man viele Gründe benennen, die mehr oder weniger interdependent zusammenhängen und unterschiedlich stark gewichtet sind, ohne hier besonders quantifiziert zu werden. Eine Wirkungsmacht besonderer Strömungen innerhalb der AfD oder gar einzelner Persönlichkeiten ist ebenfalls denkbar, aber nicht sonderlich faktisch nachweisbar. Dennoch kristallisieren sich einige Punkte heraus, die in den neuen Bundesländern ausgeprägter sind:

1. Mehr Flächenland und Landbevölkerung, die ist AfD-affiner, weil traditionalistischer als Großstädte

2. Die Liberalisierung der CDU, also die Bewegung innerhalb anderer Parteien stößt stärker auf

3. Demografischer Wandel ist spürbarer

4. Höhere Erwartungshaltung an den Staat auf der Fürsorgedimension

5. Misstrauen aus der DDR-Sozialisierung gegenüber der Obrigkeit

6. Individuelle wirtschaftliche Lage in speziellen Gebieten bspw.  im Braunkohlerevier

7. Grenznähe zu Osteuropa – Kriminalität

8. Struktur- und Mitgliederschwäche der politischen Konkurrenten ist stärker

9. Höherer Grad an Gleichgültigkeit gegenüber dem Verfassungsschutzverhalten

10. Geringere Bindung an die klassischen Parteien

11. Relativer Anteil der Mitglieder und Rekrutierungsmöglichkeiten ist größer

12. Politische Arbeit der DVU und NPD in den neuen Bundesländern existierte

13. Politisch-religiöser Boden von der Vorkriegszeit bis zum Mauerfall, der sich innerfamiliär weiterträgt ist vermutlich stärker

14. Zahl und Milieu der Ausländer und Deutschen mit Migrationshintergrund ist geringer

15. Stärkerer vorpolitischer Raum


Martin Schmidt

Allgemein, Deutschland, M-V, Politik
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